Muztagh Ata Expedition 2017

Anmarsch ins Basislager

Am Sonntag, 02.07.2017 war für mich Gipfeltag auf meiner Muztagh Ata Expedition 2017. Gestartet waren wir am Donnerstag, 29.06.2017 im Basislager auf 4450 m. Vorangegangen waren mehrere Akklimatisationsaufstiege zu Lager 1 (5350 m), Lager 2 (6100 m) und unterhalb Lager 3 (6600 m). Der Gipfel ist ca. 7500 m hoch. Der Aufstieg erfolgte mit Skiern. Hier meine Gedanken am Gipfeltag:

Aufstieg zum Lager 1

„Der Wecker klingelt um 4:30 Uhr im Lager 3 auf 6950 m. Endlich, denn ich habe die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Mir ist so übel! Draußen sind es -15 Grad, es ist noch dunkel und im Zelt hat sich Rauhreif an der Decke gebildet. Jede Bewegung wird mit Schneegriesel quittiert. Ich überlege mir ernsthaft einfach liegen zu bleiben. Dies war die 3. Nacht im Hochlager und diesen Abend will ich wieder im Basislager verbringen. Unbedingt! Dort wartet ein geräumiges Zelt, leckeres Essen mit Bier und vor allem „dicke Luft“ auf mich. Wozu noch zum Gipfel gehen?

Frühstück im Lager 1 bei noch guter Laune
Das Lager 1 auf 5350 m

Im Geiste überlege ich mir, welche Schritte als nächstes zu tun sind. Das Denken in dieser Höhe ist anstrengend, nein, nicht nur das Denken, eigentlich alles! Also Innenschuhe in den Schlafsack, damit sie warm werden, ebenso die Socken. Ich frage mich, ob die Temperatur im Schlafsack ausreicht, die Sachen zu erwärmen. Daunenhose suchen, Schneeschmelzen… Alles in Zeitlupe. Muss ich so dringend auf die Toilette, dass ich gleich raus muss oder hat es noch Zeit? Ich glaube, ich hänge fast eine Stunde so rum ohne wirklich vorwärtszukommen. Dann ist meine Thermosflasche zumindest mit frischem Tee gefüllt und ich versuche mich langsam anzuziehen ohne Hansi in die Quere zu kommen. Frühstück fällt aus, mir ist immer noch schlecht. In das Zelt passen gerade so zwei Leute mit ihren Schlafsäcken. Die ganze Ausrüstung, Handschuhe, Jacken, Hosen, Mützen, Essen, Lampen und Rucksäcke verteilen sich noch irgendwo darüber. Das Anziehen ist anstrengend. Innenschuhe in die Skistiefel quetschen. Sind die überhaupt noch warm, wenn ich reinsteige? Ich öffne die Wärmepads und klebe sie mir auf den dünnen Innenstrumpf, darüber die Wollsocken. Ich spüre die Wärme und die Pads garantieren mir heute für mind. 4 Stunden warme Füsse. Das gleiche für die Hände!

Im Eisbruch zwischen Lager 1 und 2
Das Lager 2 auf 6100 m

Irgendwann bin ich fertig. Nach 2 Stunden! Am Schluss kämpfe ich noch mit den Überschuhen aus Neopren, die über die Skischuhe kommen und mit denen man dann noch irgendwie in die Bindung finden soll. Mir gelingt es schneller als die anderen und ich starte um 6:30 Uhr meine Gipfeletappe, es dämmert. Ich bin eingepackt wie eine Mumie. Daunenjacke, Daunenhose, Skitourenhose, Gesichtsmaske, Skibrille, Dauenfausthandschuhe, Unterziehhandschuhe, beweglich ist anders.

Das Lager 3 auf 6950 m

Weit vor uns sehe ich die chinesische Expedition mit ca. 30 Leuten, sie wollten um Mitternacht starten. Nicht sehr motivierend zum Gipfel zu kommen und 30 Chinesen waren schon da. Ich folge der Schneeschuhspur. Keine Kraft eine eigene Spur zu legen. Der Nachteil ist, diese Spur ist zu steil. Teilweise rutsche ich weg und stapfe wütend meinen Ski in den Schnee. Ein Fehler, der Wutanfall führt nur dazu, dass ich anhalten muss um nach Luft zu schnappen, die reine Kraftverschwendung.
Nach gefühlt einer Stunde geht es einen steileren Abhang hoch, angeblich der letzte vor dem Gipfel, bevor es flacher wird. An diesem Abhang scheitere ich. Ich komme einfach nicht mehr hoch. Ich nehme 5 Anläufe, aber ich schaffe immer nur wenige Schritte. Oder besser gesagt: ich will nicht mehr. Später stelle ich fest, dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits fast 4 Stunden unterwegs war und 7212 m erreicht hatte. Alle steigen an mir vorbei. Zuletzt Ulli A. Sie ist unglaublich langsam, 5 Schritte, Pause, 5 Schritte, Pause, … Sie wird den Gipfel erreichen. Ein Ziel, das ich zu diesem Zeitpunkt sinnlos finde. Was soll ich da? Und in diesem Tempo? Ich habe alles geschafft, gesund ins Basislager, Hochlagerübernachtungen, einmal über 7000. Was bringt mir der Gipfel noch, diese elendige Schinderei? Oben auf dem Hügel steht Dominik, unser Tour-Guide. Ich erreiche ihn nicht mehr. Mir fehlt der unbedingte Wille, um jeden Preis auf diesen Gipfel zu kommen.

Mein Entschluss steht fest, also erstmal abfahrtsfertig machen. Im Stehen unmöglich. Ich setze mich, lege die Skier quer über die Beine, ziehe die Felle ab und stelle meine Skischuhe in die Abfahrtsposition. Mehrmals muss ich dabei Pause machen, völlig außer Atem. Mit Ulli E. fahre ich schließlich um 10:30 Uhr ins Lager 3 ab. Wobei man von Abfahren in dieser Höhe kaum reden kann, ein, zwei Schwünge, dann stehen wir wieder im Schnee und ringen nach Luft. Wenig später liegen wir in unseren Schlafsäcken. Draußen fängt es an zu schneien und stürmen. Der Wind rüttelt an unseren Zelten. Ich bin froh im Lager zu sein. Gegen 15 Uhr kommen die 3 Gipfelgänger plus Bergführer zurück. Sie schauen völlig fertig aus. Zum Glück „fahren“ wir ab, noch eine Nacht hier oben hätte ich nicht ausgehalten.

Das Wetter ist endgültig schlecht geworden. Die Sicht geht teilweise gegen Null – White Out. Ich packe mein GPS aus, um Lager 2 zu finden. Beim Abstieg müssen alle Lager geleert werden, wir kommen nicht mehr hier hoch. Mein Rucksack wird immer schwerer. Als wir Lager 1 erreichen, ist es schon fast dunkel. Angela und Ulli A. bleiben diese Nacht hier, sie wollen nicht mehr weiter. Ich will ins Basislager! Der Mond ersetzt unsere Stirnlampen und um 22:30 Uhr erreichen wir vier endlich das Basislager. 16 Stunden vorher sind wir gestartet.“

Track vom Gipfeltag

Wenn ich im Nachhinein die Karte ansehe und den Punkt, den ich erreicht habe, tut es mir leid, nicht weitergegangen zu sein. Wenn ich mich wieder in die Situation am letzten Hang versetzte, weiß ich aber, warum ich umgekehrt bin. Ich würde wieder umkehren. Falls ich noch mal an so einem Berg komme, was ich im Moment nicht vorhabe, würde ich einiges anders machen: Ich wüsste jetzt genau, was ich an Ausrüstung brauche. Dass ich im Hochlager lieber nur wenig esse. Wie mein Körper auf die Höhe reagiert. Wie fertig man am Gipfeltag schon ist, wenn man aus dem Zelt kriecht. Wieviel Geduld man braucht, um dann wirklich am Gipfel zu stehen. Und dann würde ich vielleicht da hoch gehen, wenn ich wirklich will.

Vollständiger Track der Aufstiegsroute in Google Earth

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